„Willi kennt jeden Schotterstein“

Artikel: „Willi kennt jeden Schotterstein“

Den Schwaben wird nachgesagt, dass sie offen für alles seien, Hauptsache es ändere sich nichts. Willi Jörg beweist das Gegenteil: Er sorgt dafür, dass Stationen und Bahnhöfe modernisiert und mit Bike+Ride-Anlagen ausgestattet werden. Jörg blickt auf fast 50 Jahre bei der Bahn zurück.

Wenn Reisende an einer weiteren der 145 Station in Schwaben bequem zu ihren Zügen kommen, dann ist das auch der Verdienst von Willi Jörg. Der Mitarbeiter des Bahnhofsmanagements Augsburg erstellt die Projekt-Steckbriefe und -Aufträge für die Modernisierung jeder einzelnen Station. Wie hoch müssen die Bahnsteige sein, damit Reisende barrierefrei ein- und ausstiegen können? Braucht die Station Aufzüge oder eine Rampe? Sind Treppen zu sanieren? Ohne Steckbrief und Auftrag wird kein Projektleiter, kein Planer und keine Baufirma tätig.

Fast ein ganzes Bahnerleben in Schwaben

„Willi kennt in Schwaben jeden Bahnsteig und jeden Schotterstein“, sagt sein Ex-Chef Bernhard Christ, der vor kurzem in den Ruhestand gegangen ist. Kein Wunder, Willi Jörg kümmert sich seit 13 Jahren um die Immobilien und die Infrastruktur im Bahnhofsmanagement Augsburg von DB Station&Service und war zuvor neun Jahre als Stationsinspektor hier unterwegs. Fast sein ganzes Bahnleben war der 65-Jährige in Schwaben tätig.

Begonnen hat Jörg im Herbst 1973 im Heimatort Harburg, war in den 1980er-Jahren Zugmelder und Fahrdienstleiter rund um Donauwörth und arbeitete in der Betriebs- und Rangieraufsicht. Als das örtliche Bahnhofsmanagement im Jahr 2000 aufgelöst wurde, verschlug es Jörg ins oberbayerische Ingolstadt. Kurz darauf bewarb er sich nach Augsburg: „Der Weg von Harburg ist kürzer und günstiger“, sagt Jörg. Außerdem: „Die Oberbayern sind nette Menschen, aber die Schwaben sind mir lieber. Die Mentalität ist eine andere.“

Willi Jörg erstellt Projekt-Streckbriefe und -Aufträge für die Modernisierung von Stationen.

Immer ein Späßle parat

Wenn man Jörg fragt, was denn die „Mentalität der Schwaben“ ausmache, antwortet er mit Späßle. Zum Beispiel: Als Gott die Welt erschuf, fragte er die Steine: „Wollt ihr Schwaben sein?“. Die Steine erwiderten: „Das würden wir gern, doch wir sind nicht hart genug.“ Und: Ein Schwabe ist offen für alles, Hauptsache es ändert sich nichts. Aber das scheinen nur Worte, Jörg ist der Gegenbeweis: Schließlich sorgt er dafür, dass sich an den Stationen etwas ändert.

Vorfreude auf mehr Unabhängigkeit

Seit 2010 erstellt Jörg Projekt-Steckbriefe und -Aufträge für die Modernisierung von Stationen, aktuell laufen 60 Projekte. Die „Mobilitätsdrehscheibe Augsburg“ war die größte Herausforderung seiner Laufbahn. „Das ist ein Riesenprojekt, sehr komplex. Ich habe die Planung seit 2013 begleitet, bis der erste Bagger auf dem Bahnhofsvorplatz loslegte“, sagt Jörg. Darüber hinaus sorgt Jörg für Fahrradstellplätze an 30 Stationen in Schwaben. Sie sind Teil der Bike+Ride-Offensive, die Kommunen den Auf- und Ausbau von Fahrradstellplätzen an Bahnhöfen erleichtert. Dafür sucht Jörg mit den kommunalen Verwaltungen Flächen aus. Außerdem stellt er mit den Projektleitern die Vorhaben den Gemeinden und Stadträten vor und prüft mit den Kolleg:innen von der Bike+Ride-Offensive die Gestattungsverträge für die Kommunen. Bike+Ride-Anlagen stehen bereits etwa in Sonthofen, Lindau-Reutin und Gablingen.

Ende Mai übergibt Willi Jörg seine Arbeit an Sophie Steeger und beendet seine berufliche Laufbahn: „Ich gehe mit einem weinenden und einem lachenden Auge.“ Schließlich mache der Job Spaß, andererseits habe er so manches Mal gedacht: „Bei schönstem Wetter im Büro sitzen? Ich könnte besser auf dem Berg sein!“ Oder in der Früh spontan mit dem E-Bike zu einer Tour aufbrechen – auf diese Unabhängigkeit im Ruhestand freut sich Jörg.