„Wir erhielten eine fast unrealistisch coole Unterstützung“

Artikel: „Wir erhielten eine fast unrealistisch coole Unterstützung“

Seit dem brutalen Überfall Russlands auf die Ukraine sind über eine Million Menschen auf der Flucht vor dem Krieg in ihrer Heimat nach Deutschland gekommen. Um richtig Fuß zu fassen, wünschen sie sich vor allem eines: eine berufliche Perspektive. Mit einem speziellen Beratungs- und Jobprogramm hilft die Deutsche Bahn, wo es nur geht – kurzfristig, aber auch auf längere Zeit. Fünf Ukrainerinnen und Ukrainer erzählen von ihrem Weg nach Deutschland und ihren Erfahrungen beim Neustart ins Berufsleben bei der DB.

Svetlana Mordvaniuc (38) arbeitet für die DB-Personalgewinnung und betreut Job-Kandidat:innen aus Osteuropa. Die Dolmetscherin stammt ursprünglich aus der Republik Moldau, in der Ukraine lebte sie bei ihrem Mann in dessen Heimatort bei Charkiw. Inzwischen ist sie mit Tochter und Sohn (acht und zehn) sowie ihrer Schwiegermutter in Ulm.

Was hast Du zuerst gemacht, als Dir klar war, dass der Krieg ausgebrochen ist?

Wir hatten große Angst, als alles anfing. Wir dachten, das sei ein schrecklicher Traum und alles wäre bald vorbei. Als erstes haben wir uns auf einen möglichen Angriff vorbereitet, auf den Einschlag einer Rakete. Wir haben die Fenster mit Klebeband abgedichtet, wir haben die Matratzen in den Flur gelegt, damit die Kinder sicher sind. Wir haben wichtige Lebensmittel gekauft und Medikamente, deren Lieferung stark eingeschränkt oder ganz eingestellt wurde. Und wir konnten so gut wie nicht schlafen. In der zweiten Woche wurde mir klar, dass das leider nicht so schnell vorbei sein wird und wir nach Wegen suchen müssen, die Kinder zu retten. Also beschloss ich, nach Deutschland zu fahren.

Anastasia Pupchenko (27) absolviert derzeit ihre Ausbildung zur Stewardess Bordgastronomie für den Fernverkehr in München. Sie stammt aus Kiew, erlebte den Kriegsausbruch in Odessa. Dort hatte sie kurz zuvor noch als Barkeeperin gearbeitet.

Was war für Dich entscheidend auf dem Weg in die Sicherheit?

Als ich im Zug nach Kiew saß, haben alle im Waggon geschwiegen. Alle waren geschockt.  Etwa eineinhalb Monate lang waren wir dann im Epizentrum der Ereignisse. Dann habe ich mich entschlossen, loszufahren. Es war sehr schwierig, weil meine Verwandten nicht wegwollten. Mein Vater konnte die Ukraine nicht verlassen, meine Mutter wollte nicht ohne ihn fahren, und mein jüngerer Bruder wollte ohne die Eltern auch nicht weg.

Unterwegs war ich sehr angenehm überrascht darüber, wie sich die Menschen geholfen haben. Es gab viele Freiwillige, die an den Stationen koordinierten, wohin die Geflüchteten gehen sollten, die Hilfe war sehr groß. Ich bin mit dem Zug nach Przemysl (Polen) gefahren und von dort mit einem weiteren Zug nach Deutschland gekommen.

Das Wertvollste war, dass die Polen und Deutschen geradezu unrealistisch coole Unterstützung leisteten: Sie kamen zum Bahnhof, halfen uns mit Taschen, trugen die Kinder, gaben uns viel Essen und auch verschiedene Sachen wie Ladegeräte, Kindersachen und Kleidung. Am meisten gab es aber überall das Essen. Ich werde auch nie vergessen, wie der Transport für die Geflüchteten funktioniert hat. Züge und Busse verkehrten jeden Tag, um uns an unser gewünschtes Ziel zu bringen. Die Leute schlossen sich sehr schnell zusammen und das brachte ein Gefühl der totalen Sicherheit.

Evgeniya Barva (34) stammt aus Mariupol und kam mit ihrem Mann und ihren beiden Töchtern (13 und 8) im Mai 2022 nach Deutschland. In der Ukraine arbeitete sie als Fahrdienstleiterin im Stahlwerk Azovstal, das zum Symbol des Widerstands wurde. Nach einem Deutschkurs wird sie bei DB Netz in der Betriebszentrale Leipzig mit ihrer Funktionsausbildung zur Fahrdienstleiterin beginnen, ebenso ihr Mann.

Warum bist Du nach Deutschland gekommen?

Deutschland ist ein schönes Land. Es bietet jenen, die vor dem Krieg fliehen, sehr gute Lebensbedingungen. In Deutschland gibt es eine große Chance, Hilfe zu bekommen und auch einen Job für zu finden, wenn es keinen Ort gibt, an den man zurückkehren kann. Ich bin bei einer Arbeitgebermesse in Leipzig direkt zum DB Stand gegangen, weil mein Mann und ich ja viele Jahre Eisenbahn-Erfahrung hatten.

Kamran Radzhput (26) stammt aus Kiew und hat in Deutschland seinen Master (Lehramt Deutsch) erworben. Er arbeitete dann als Deutschlehrer in der Ukraine und kam Anfang 2022 – vor dem Krieg – wegen einiger Jobangebote nach Deutschland. Als Recruiting-Koordinator in Leipzig kommt er sehr viel mit geflüchteten Ukrainer:innen in Kontakt und ist froh, helfen zu können.  

Welche Rolle hatte die Eisenbahn in den ersten Kriegsmonaten?

Es gab keine Flüge, die Eisenbahn war die einzige Möglichkeit einer öffentlichen Evakuierung. Sie hat damit eine der wichtigsten Rollen für die Beförderung von Menschen und den Transport von Gütern gespielt. Es gab auch kaum Alternativen, weil es mit den anderen Verkehrsmitteln entweder nicht möglich oder auch nicht ungefährlich war.

Tetiana Kononenko (39) aus Schytomyr ist mit ihrer Tochter (14) und ihrem Sohn (16) in Berlin. Sie ist gelernte Elektromechanikerin und arbeitete vor dem Krieg für die staatliche ukrainische Eisenbahn Ukrsalisnyzja. Ihre Kinder und sie wurden in Polen von freiwilligen Helfern mitgenommen und Anfang März 2022 nach Berlin gebracht. Sie ist jetzt als Elektronikerin im ICE-Werk Rummelsburg beschäftigt.

Gibt es etwas, was die DB künftig berücksichtigen sollte aus Deiner Sicht?

Ich arbeite seit Anfang Februar bei der DB. Und es ist eine Herausforderung, weil wir in den Deutschkursen Wörter gelernt haben, die nichts mit der Eisenbahn zu tun haben. Deshalb wünsche ich mir, dass Anfänger aus anderen Ländern mehr Fachdeutsch lernen. Aber generell macht mir die Arbeit bei der DB Spaß.