Aus der Küche in den Führerstand

Artikel: Aus der Küche in den Führerstand

Christian Stiller kochte für Bundespräsident Horst Köhler, Thomas Gottschalk und den Dalai Lama. Die Begegnung mit dem geistigen Oberhaupt der Tibeter erinnerte ihn aber an einen Kindheitstraum: Er wollte schon immer Lokführer sein. Dafür tauschte der Familienvater im vergangenen Jahr die Küche gegen den Führerstand und ließ sich zum Triebfahrzeugführer ausbilden.

„Das ist der Wahnsinn!“ Christian Stiller kann es immer noch nicht fassen, wenn er auf der Strecke der Schwarzwaldbahn oder Gäubahn unterwegs ist und eine Landschaft an ihm vorbeizieht, die die meisten im besten Fall aus dem Fernsehen kennen. Wenn kein Ausbilder oder Prüfer neben ihm steht, sondern er seinen Zug ganz allein nach Stuttgart oder an den Bodensee fährt. Wenn er beim Halt in einem Bahnhof und beim Blick ans Ende des Zugs sieht, wie viele Fahrgäste ein- und aussteigen und ihm sein Vertrauen schenken – dann weiß er, dass sein Traum in Erfüllung gegangen ist.

Christian Stiller ist durch und durch Triebfahrzeugführer. Dass der 37-Jährige jetzt da ist, wo er schon immer sein wollte, ist nicht selbstverständlich. Denn Stiller war bis im vergangenen Jahr Koch. Er arbeitete in exklusiven Restaurants und großen Hotels in Deutschland und der Schweiz und kochte auch für prominente Gäste.

„Der Weg, den du gehst, ist gut. Aber es ist nicht dein Weg.“ – der Dalai Lama zu Christian Stiller bei einer Begegnung in Zürich

Eines Tages begegnete er jedoch einem besonderen Menschen: dem Dalai Lama. Und Christian Stiller erinnert sich nicht nur genau an den Dank des geistigen Oberhaupts der Tibeter, sondern auch an dessen kurze, prägnante Botschaft: „Der Weg, den du gehst, ist gut. Aber es ist nicht dein Weg.“

Diese Worte in einem Züricher Luxushotel lösten in Christian Stiller etwas aus. Der Kindheitswunsch, eines Tages eine Lokomotive zu fahren, gewann immer mehr Oberhand. Die Pandemie gab den endgültigen Ausschlag. „Ich dachte nämlich erst: vier, sechs Wochen frei – da kann ich was im Garten machen.“ Doch nicht nur der Lockdown wurde länger und länger. Events wie beispielsweise eine Party beim ehemaligen Bundespräsidenten Horst Köhler, bei der Stiller schon gekocht hatte, fielen irgendwann ganz flach. Eines Tages bestellte ihn dann die Chefin der Eventagentur, bei der er tätig war, ins Büro. „Mit Tränen in den Augen hat sie mir meine Kündigung überreicht.“

Wer nichts wagt, der nichts gewinnt

„Wie soll es weitergehen? Was funktioniert finanziell?“ Vor diesen Fragen standen Christian Stiller und seine Frau Antje. Zumal die Verpflichtungen mit zwei Kindern und dem Eigenheim in Engen bei Radolfzell größer anstatt kleiner geworden waren. Doch wer nichts wagt, der nichts gewinnt. Der bis dahin erfolgreiche Koch traute sich und bewarb sich im vergangenen Jahr als Quereinsteiger für die Umschulung zum Triebfahrzeugführer. Tauschte den Kochlöffel gegen den Fahrhebel und lernte, was das Zeug hielt.

„Ich bin ziemlich ehrgeizig. Wenn ich antrete, dann auch, weil ich das Ding reißen will“, erzählt Stiller. Acht volle Ordner mit Lernmaterial und nochmal die gleiche Menge auf dem Tablet sind während der einjährigen Ausbildung zusammengekommen. „Dass so viel dranhängt, damit hatte ich nicht gerechnet.“

Fingerspitzengefühl und Erfahrung

Doch die Theorie war das eine, die Praxis das andere. „Wir haben im laufenden Betrieb gelernt und waren vorwiegend auf der Schwarzwaldbahn unterwegs“, erinnert sich Stiller und ergänzt mit einem Augenzwinkern: „Für die Arbeit als Triebfahrzeugführer braucht es Fingerspitzengefühl und Erfahrung – daran arbeiten wir aber noch.“

Seit der bestandenen Prüfung im Januar hat der Quereinsteiger zwischenzeitlich die notwendigen weiteren Fernverkehrspakete in der Tasche. Er ist so begeistert von seinem Job, dass er mittlerweile sogar mit seinen Urlaubstagen hadert, „weil ich dann keine Züge fahren kann“.

Über die Entscheidung für die DB könnte Christian Stiller kaum glücklicher sein. „Als Koch war ich es nämlich irgendwann nicht mehr. Ich war 16 Stunden oder noch länger nicht zu Hause. Meist gab es eine Sechs-Tage-Woche.“ Andere Väter seien auch mal abends daheim gewesen. Nur er habe immer gearbeitet.

Obwohl Stiller jetzt Triebfahrzeugführer ist, hat er den Kochlöffel nicht ganz an den Nagel gehängt. Leckeres gibt es aber nur noch privat – für seine Frau, die Kinder und die Oma. Das sind und waren nämlich schon immer die wahren Promis des 37-Jährigen.