Artikel: Geflüchtete sind bald Lokführer:innen bei der S-Bahn Stuttgart
Sie haben ihr altes Leben hinter sich gelassen und einen beruflichen Neustart bei der S-Bahn Stuttgart begonnen: Drei Geflüchtete aus dem Iran haben die Umschulung zur Eisenbahnerin bzw. zum Eisenbahner im Betriebsdienst fast abgeschlossen.
Wenn Sonia Alaghehband, Mohammad Mohammadi und Omid Noman an ihrem Arbeitsplatz die Hebel in Bewegung setzen, dann gibt es nur eines: höchste Konzentration. Denn als angehende Eisenbahner:innen im Betriebsdienst lernen sie momentan zwar immer noch dazu, sind aber längst in den Alltagsbetrieb bei der S-Bahn Stuttgart eingebunden und bringen schon jetzt Fahrgäste in alle Himmelsrichtungen der baden-württembergischen Landeshauptstadt.
Während sich die drei Geflüchteten aus dem Iran im Führerstand von nichts ablenken lassen und derzeit noch ein Ausbilder bei jeder Fahrt dabei ist, tragen sie ab kommendem Februar die volle Verantwortung. Schließlich haben Sonia Alaghehband, Mohammad Mohammadi und Omid Noman nicht nur ihre Herkunft gemein. Nach dem beruflichen Neustart haben sie nun auch den ersten großen Teil ihrer Prüfungen bestanden und das Ziel Lokführer:in direkt vor Augen.
„Ich freue mich, wenn ich es geschafft habe“, sagt Sonia Alaghehband. Sie war in ihrer früheren Heimat Englischlehrerin. Die Umschulung sei nun etwas Besonderes, „weil es im Iran viele Berufe gibt, die Frauen nicht ausüben dürfen“. Lokführerin sei einer davon. „Deshalb freue ich mich auch, eine der wenigen aus dem Iran stammenden Lokführerinnen zu sein.“
Mohammad Mohammadi erfüllt sich mit dem künftigen Beruf zudem einen persönlichen Traum. Der gelernte KfZ-Mechaniker war unter anderem bei der iranischen Bahn in Teheran beschäftigt und wollte eigentlich schon immer Lokführer werden. Auf die neue Herausforderung als Triebfahrzeugführer freut er sich ebenfalls. „Nur die Fachbegriffe der Eisenbahn sind schwer zu lernen, weil es in meiner Heimatsprache Begriffe aus drei Hauptwörtern wie ‚Geschwindigkeitsüberwachungseinrichtung‘ nicht gibt.“
Omid Noman, der im Iran IT studiert hat, hat sich für den neuen Beruf entschieden, weil er gerne Verantwortung übernimmt. Er ist seit fünf Jahren in Deutschland und im Raum Stuttgart und hat seine ersten Schritte in der neuen Sprache zunächst auf Schwäbisch gemacht. „Erst später habe ich erfahren, dass Hochdeutsch die Standardsprache ist.“ Sein neuer Beruf begeistert ihn, und einen Lieblingsbahnbegriff hat er auch schon: „Wagenkastenquerspielsteuerung.“
Die zweijährige Umschulung ist dabei ein bundesweites Pilotprojekt und Teil des Modells „Qualifizierung Geflüchteter zu Triebfahrzeugführern“, bei dem die DB, das Land Baden-Württemberg und die Bundesagentur für Arbeit kooperieren. Die Verantwortlichen zogen deshalb vor kurzem in Stuttgart-Vaihingen eine erste Bilanz. „Ich habe höchsten Respekt vor Menschen, die sich auf den Weg machen und eine neue Zukunft schaffen“, sagte Martin Seiler, Vorstand Personal und Recht bei der DB. Die neuen Kolleg:innen hätten sich innerhalb kurzer Zeit auf beeindruckende Weise mit der deutschen Sprache und den technischen Herausforderungen der Züge und Strecken vertraut gemacht.
Chancen für Geflüchtete
Seit 2015 engagiert sich die DB verstärkt bei der Integration von Geflüchteten. Insgesamt hat die Bahn seither rund 600 Plätze zu deren Qualifizierung angeboten. Zu den Möglichkeiten für berufserfahrene Geflüchtete gehören auch Umschulungen zum/zur Elektroniker:in für Betriebstechnik oder Weiterbildungen als Busfahrer:in oder Vegetationspfleger:in. Darüber hinaus richtet sich das Programm „Chance plus“ an junge Geflüchtete und bereitet sie auf eine Ausbildung vor. Für Geflüchtete aus der Ukraine bietet die DB zudem seit April ein umfassendes Job- und Beratungsprogramm an.