Gute Seiten, schlechte Seiten

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Artikel: Gute Seiten, schlechte Seiten

Nach über 25 Jahren als Kundenbetreuerin im Nahverkehr hat Jana Hertwig einen klaren Blick darauf, was ihren Job auszeichnet, was ihn anstrengend, aber auch einzigartig macht. Eine Vollblutbahnerin erzählt, wie sich die Einführung des Deutschlandtickets und die gestiegenen Bautätigkeiten im Netz auf ihren Alltag auswirken.

Quelle: DB AG/Tina Henze
Am liebsten ist Jana Hertwig mit der Baureihe 429 auf den Linien der Süwex unterwegs: „Die liegt besonders ruhig auf den Schienen.“

Beim ersten Kontrollgang durch den Zug geht es darum, ein Gefühl zu bekommen: Sind die Reisenden entspannt? Wie voll sind die Abteile? Sind alle Toiletten intakt? Wie wird die Fahrt verlaufen? Und auf ihre Intuition kann sich Jana Hertwig verlassen: Seit über 25 Jahren ist sie auf den fünf Strecken rund um Koblenz als Kundenbetreuerin im Nahverkehr (KiN) unterwegs. Es ist nicht nur ein Arbeitsalltag im steten Fluss, sondern auch am Fluss. Ob Lahn, Mosel oder Rhein: „Eines der drei Gewässer begleitet mich jeden Tag – wer kann das schon von sich behaupten?“

Je nachdem, auf welche Strecke sie der Schichtplan führt, gestaltet sich der Tag: gediegen und ruhig mit den Pendler:innen Richtung Frankfurt/Main oder ausgelassen-fröhlich mit Urlauber:innen auf dem Weg nach Trier. Auch die Entscheidungen der Politik und der Unternehmensführung nehmen direkten Einfluss auf ihren Arbeitsalltag. Für die Erkenntnis, dass das Deutschlandticket immer mehr Menschen dazu bewegt, in Züge umzusteigen, muss Jana Hertwig nicht erst auf groß angelegte Studien warten: „Das erlebe ich jeden Tag hautnah.“ Die Züge sind voll. Gerade diejenigen, die die Bahn neu entdecken, haben besonders viel Informationsbedarf. Wissenshunger, den die Vollblutbahnerin gerne stillt.

Trotz Chaos: Das große Ganze stimmt wieder

Dass mehr Geld in die Erneuerung der Schieneninfrastruktur fließt, macht ihren Job nicht gerade entspannter. Auf ihrer Haus- und Hofstrecke über Bingen Richtung Frankfurt/Main steigt die Kollegin derzeit zusammen mit den Reisenden zwischen Koblenz und Boppard in Ersatzbusse. Auf der Strecke werden Signale erneuert. „Es ist gut, dass sich viel bewegt. Auch wenn das bedeutet, dass teilweise Chaos und Verspätungen an der Tagesordnung sind. Da müssen wir durch.“ Sagt sie und füllt ein Formular aus, das dokumentiert, dass es eine Abweichung in ihrer Schicht gab. Früher kam das vielleicht einmal im Monat vor, inzwischen nahezu täglich.

Viel wichtiger ist es ihr ohnehin, dass „das große Ganze“ wieder stimmt, das Gefühl der Zusammengehörigkeit. Vorbei sind die Zeiten, in denen sie sich nur als Nummer wahrgenommen gefühlt hat. „Man wird wieder als Mensch, als wertvolle Mitarbeiterin gesehen und wertgeschätzt“, sagt sie. Derzeit bildet sie Quereinsteiger:innen zu KiN aus, die sie auf ihren Schichten begleiten. Es fühle sich gut an, das eigene Wissen weiterzugeben. Und nicht nur das.

Der Kontakt mit den neuen Kolleg:innen habe den Blick auf die positiven Seiten ihres Jobs gelenkt: ein gutes Gehalt, das zuverlässig und pünktlich kommt, viel Struktur und Sicherheit, das Gefühl, ein Teil eines großen Unternehmens mit großer Außenwirkung zu sein. „Die neuen Kolleg:innen, die zuvor als Friseurinnen, Maurer oder Zimmermann gearbeitet haben, hatten mit Herausforderungen zu kämpfen, die mir als Bahn-Angestellte weitestgehend unbekannt sind.“

Aus zwei Jahren wurden 27

Der Start ins Eisenbahnerleben: 1993 unterschrieb Jana Hertwig, damals noch in Dresden, ihren Ausbildungsvertrag zur Kauffrau im Eisenbahn- und Straßenverkehr.

Eigentlich wollte die gebürtige Pirnaerin nur zwei Jahre bei der Bahn in Koblenz bleiben, als sie 1996 nach ihrer Ausbildung bei der Deutschen Reichsbahn zur Kauffrau im Eisenbahn- und Straßenverkehr hierherkam. Sie wollte weiter zum Studieren. Doch Leben ist nun mal das, was passiert, während man andere Pläne macht. Der Job im Betriebsdienst der Bahn machte ihr Spaß, sie merkte sofort, der Kundenkontakt liegt ihr. „Wir waren fit in Signalkunde, haben Bremsproben durchgeführt, durften kuppeln – man war der Boss am Zug“, erinnert sie sich.

Und so wurden aus zwei inzwischen 27 Jahre. Und aus „Jana Hertwig“ wurde die „Eisenbahnerin Jana Hertwig“. Wenn nachts um halb vier der Wecker klingelt und die Wahl-Koblenzerin in Hose, Bluse und Weste in Dunkelblau und Burgundy schlüpft, dann bleibt die Privatperson zurück: „Mit dem Überstreifen der UBK schlüpft man in eine Rolle, wie eine Schauspielerin.“ In die Rolle ihres Berufslebens: zu helfen, zu informieren und die Kund:innen mit ihrem souveränen und freundlichen Auftreten jeden Tag ein wenig glücklicher zu machen.