Artikel: Neustart mit 60: Vom Friseursalon in den Regio-Zug
Mit 60 Jahren beruflich neu durchstarten? Paula Bähr hat sich getraut: Die Friseur-Meisterin ist jetzt als Kundenbetreuerin im Nahverkehr (KiN) für DB Regio Bayern in Franken, Hessen und Thüringen unterwegs. Die Bambergerin ist begeistert von ihrem neuen Job. Besonders die neuen Züge im Franken-Südthüringen-Netz haben es ihr angetan.
Ihr ganzes Berufsleben hat Bähr als Friseurin gearbeitet, ihren Meister gemacht, zwei Jahrzehnte ein Geschäft in Bamberg geführt und war Vorstand-Beisitzerin der Friseurinnung Bamberg, Coburg, Lichtenfels. Sie war zufrieden – bis zur Corona-Pandemie. „Die steigenden Energiekosten und die Corona-Soforthilfe, die ich zurückzahlen muss, haben mir viele schlaflose Nächte bereitet“, sagt Bähr. „Wenn ich zehn Jahre jünger gewesen wäre, hätte sich das Geschäft erholen können. Das hätte ich gestemmt. Aber sieben Jahre vor der Rente – das war nicht drin.“ Im Juli 2023 gab sie das Geschäft auf.
Eine Alternative entdeckte die Bambergerin auf Instagram: eine Stellenausschreibung für den Quereinstieg zur KiN. „Meine Tochter hat mir sofort dazu geraten, mich zu bewerben.“ Die Bahn ist der 60-Jährigen nicht fremd, ihr geschiedener Mann war bei der DB, ihre Tochter ist Fahrdienstleiterin, auch der Schwiegersohn arbeitet bei DB InfraGO. Die dreieinhalbmonatige Ausbildung allerdings war eine Herausforderung: „Wir haben nur digital, also am Tablet, gelernt. Die jüngeren Kolleg:innen haben das besser gepackt, für mich war das knackig.“ Schließlich sei sie Handwerkerin und brauche die Praxis. Aber sie hat einen Weg gefunden: „Ich habe mich komplett isoliert – keine Telefonate, kein WhatsApp, kein Sport, keine große Geburtstagsfeier zum 60. – und nur noch gelernt.“ Mit Erfolg, im November hat Bähr die Prüfungen absolviert und ist seitdem für DB Regio unterwegs.
Die Kundenbetreuerin hilft gern
Bähr ist begeistert von ihrem Job. „Ich bin gern draußen unterwegs“, sagt sie und schwärmt vom Sonnenaufgang auf der Fahrt nach Frankfurt (Main) an diesem Morgen: „Das war so eine friedvolle, schöne Stimmung, auch im Zug.“ Sie schätzt die Kolleg:innen – diejenigen, die sie in Bamberg gut aufgenommen haben, und diejenigen, die sie unterwegs zufällig trifft und die sie auch schon mal in schwierigen Situationen unterstützen. Und Bähr freut sich, wenn sie Reisenden helfen kann. Zum Beispiel der mobilitätseingeschränkten Frau, die mit viel Gepäck nach Bad Kissingen unterwegs war. „Wegen Bauarbeiten gibt es gerade einen Schienenersatzverkehr. Ich habe die Kolleg:innen in Würzburg angerufen und die haben organisiert, dass der Frau beim Umsteigen in Gemünden geholfen wurde.“
Ein besonderer Tag für Bähr war der Fahrplanwechsel am 11. Dezember, denn da war sie zum ersten Mal mit einem der neuen Desiro-HC Doppelstockzüge (Baureihe 1462) nach Saalfeld (Saale) unterwegs. 18 dieser vierteiligen Doppelstockzüge mit je 380 Sitzplätzen und drei Mehrzweckbereichen (36 Fahrradstellplätze pro Zug) fahren seit Dezember in der Region Franken und in Südthüringen. Die Wabenstruktur der Fensterscheiben sorgt für einen besseren Mobilfunkempfang, außerdem gibt es WLAN und jeweils eine Steckdose an jedem Doppelsitz. „Die Fahrgäste haben gestaunt und waren begeistert“, berichtet Bähr. Insbesondere die großen Mehrzweckabteile haben den Reisenden gefallen. „Wir können jetzt viel mehr Fahrräder, Kinderwagen und Rollstuhlfahrer:innen mitnehmen. Das ist toll“, sagt Bähr. Außerdem schätzt sie die Hublifte, mit denen die Kundenbetreuer:innen mobilitätseingeschränkte Reisende in und aus dem Zug helfen können.
Neue Züge im Franken-Südthüringen-Netz
18 Desiro-HC Doppelstockzüge von Siemens fahren seit Dezember in der Region Franken und in Südthüringen
Natürlich erlebt die Kundenbetreuerin aber auch jede Menge schwierige Situationen: Reisende ohne oder mit ungültigen Tickets. Fahrgäste mit Deutschland-Ticket, die ihren Ausweis nicht zeigen wollen oder keine Fahrscheine für ihre Kinder haben. „Die Aggressionsschwelle mancher Reisender ist niedrig. Da braucht man Fingerspitzengefühl und muss deeskalieren“, sagt Bähr. „Wer einen ruhigen Job ohne Verantwortung will, für den ist das nichts.“ Für die Bambergerin selbst aber wohl: „Ich bin glücklich, dass ich diese Chance bekommen habe und mir zugetraut habe, diesen Schritt zu gehen.“ Inzwischen besucht sie auch wieder das Sportstudio und plant Fahrten mit dem E-Tourenrad. An ihren freien Tagen war Bähr gerade in Sachsen unterwegs. Und sie freut sich, dass die Handwerkskammer eine Nachfolgerin für ihr Friseurgeschäft und ihre ehemaligen Kund:innen gefunden hat.