Per Zug von der ukrainischen Eisenbahn Ukrzaliznytsia zur DB

Artikel: Per Zug von der ukrainischen Eisenbahn Ukrzaliznytsia zur DB

Am Abend hatte sie noch Fisch gebraten, am nächsten Morgen weiß sie, dass sie gehen muss. An diesen Moment, ab dem ihr Leben schlagartig einen anderen Verlauf nahm, erinnern sie sich alle. Tetyana Veremyeyeva kam im März 2022 nach Deutschland. Lena Kurilova war bei der Arbeit, als der Angriff passierte. Zusammen mit ihrer Tochter fand sie Platz in einem der Evakuierungszüge in Richtung Deutschland. Fast zwei Jahre ist das her, am 24. Februar jährt sich der russische Angriffskrieg auf die Ukraine zum zweiten Mal. Aus diesem Anlass hat sich Bahnchef Richard Lutz mit sieben Ukrainer:innen zwei Stunden lang über ihre Erlebnisse ausgetauscht, um mehr über die Menschen und ihre Geschichte zu erfahren, die in Deutschland ein neues Leben angefangen haben. Heute arbeiten sie sich in der Instandhaltung, in der Bordgastronomie, als Ingenieurin und künftig auch als Fahrdienstleiterinnen für die Deutsche Bahn. Für die meisten spielte die Eisenbahn schon vor dem Krieg eine große Rolle.

„In der schwierigen und dramatischen Situation konnten viele nicht anders, als die Ukraine zu verlassen und andere Wege zu gehen. Wir tun alles dafür, dass es nicht so schwer ist, neue Perspektiven zu finden“, sagt Bahnchef Richard Lutz, der an diesem Tag auf sechs Frauen und einen Mann trifft, die alle ihr Leben selbst in die Hand nehmen. „Ich habe schon aus dem Zug per Handy nach einer Wohnung gesucht“, erzählt Lena Kurilova aus Odessa, die als Wirtschaftsexpertin in der Verwaltung der ukrainischen Eisenbahn gearbeitet hat. Anfangs kam sie bei deutschen Familien unter, mittlerweile hat sie ihre eigene Wohnung in Leipzig. Am Hauptbahnhof ist sie auf die DB Jobwelt gestoßen und hat mehr über die Möglichkeiten bei der DB erfahren. „Für mich war immer klar, dass ich weiter für die Eisenbahn arbeiten werde“, sagt sie und lacht, als sie berichten kann, dass es in ihrer Familie über 300 Jahre Eisenbahnerfahrung gibt: Ihr Großvater hat vor und während des Zweiten Weltkriegs zerstörte Bahnstrecken aufgebaut, ihre Mutter hat bei der Schieneninstandhaltung gearbeitet, ihr Vater als Dreher in einem ukrainischen S-Bahn-Werk. „Ich habe keine Angst vor der Eisenbahn, nur die deutsche Sprache ist manchmal nicht leicht.“  

Im Austausch mit Bahnchef Richard Lutz (von links): Yuliia Vinnikova, Lena Kurilova und Kamran Radzhput

Hilfreich ist, dass der Sprachkurs Teil der Ausbildung ist und sie währenddessen Geld verdienen kann. „Ich finde es großartig, dass die DB Sprachkurse anbietet und die Menschen bereits einstellt, sodass sie vom Jobcenter unabhängig sind“, sagt auch Kamran Radzhput, der das von keinem anderen Arbeitgeber kennt. Der 27-Jährige arbeitet mittlerweile bei der DB Jobwelt in Leipzig als Recruiter und hat dort Lena für die DB gewonnen. Viele qualifizierte Menschen aus der Ukraine sind schon hier, die einzige Herausforderung sei die Sprache, erklärt er. Brücken bilden hier engagierte Kolleg:innen, der Lebenspartner, neue Freundschaften, die Sprachkurse der DB und die Unterstützung von Führungskräften, die schon mal in Eigenregie Fachtermini übersetzen, die ein regulärer Sprachkurs nicht abdeckt, oder bei der Wohnungssuche unterstützen. Die Führungskräfte sind sehr angetan vom Einsatz ihrer ukrainischen Kolleg:innen: „Das sind tolle Gastgeberinnen an Bord unserer Züge“, lobt zum Beispiel Teamleiter Christian Schäfer vom Fernverkehr in München. Dort hatte vor einem Jahr erstmals eine ukrainische Klasse den Quereinstieg zur Stewardess im Bordservice absolviert.

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Nach dem Einstieg über die DB Zeitarbeit bereitet sich Lena Kurilova zurzeit auf den Quereinstieg als Fahrdienstleiterin vor. „Ich bin froh, dass ich meinen Beitrag für die DB leisten kann“, sagt die 43-Jährige, die das Treffen mit dem Bahnchef „kostbar“ nennt und ihm persönlich dankt: „Es bedeutet viel für uns, dass Sie so viel für die Ukraine machen.“ Richard Lutz erzählt, wie die DB dazugelernt habe und mit den Wochen gemerkt habe, wie sie besser helfen könne, indem zum Beispiel Menschen in den Zügen zu Zielen beraten haben. Und dass es ihm ernst ist mit dem fortlaufenden Engagement macht er mit seinen Fragen deutlich. Denn an der ein oder anderen Stelle hakt es noch, wie die Frauen berichten. „Die Anerkennung von Zeugnissen ist schwer, wenn die Behörde das Schulzeugnis verlangt, das noch in der Ukraine liegt“, erzählt eine. „Können wir das nicht pragmatischer lösen?“, fragt Lutz. Das Visum, das abläuft und dann zwar automatisch verlängert wird, ohne es ein Dokument als Nachweis dafür gibt, beschäftigt eine andere. „Am Ende hatte ich Erfolg“, freut sich die Ingenieurin Tetyana, die im brandenburgischen Oranienburg mit Hartnäckigkeit das verlängerte Visum bis zum Ende des Arbeitsvertrags erhalten hat. Doch in anderen Bundesländern sei es schwieriger. Im Gespräch wurde deutlich, dass ein Online-Wörterbuch für Bahnfachbegriffe über alle Gewerke hinweg bei der DB hilfreich wäre.

Im Gespräch gab es auch viel Anteilnahme an den persönlichen Schicksalen der Frauen und traurige Momente. Es sterben weiterhin sehr viele Menschen in der Ukraine, auch Eisenbahner:innen. Seit Kriegsbeginn halten Frauen und Männer, den Betrieb bei der ukrainischen Eisenbahn aufrecht, obwohl die die Infrastruktur vielerorts zerstört ist. Die DB unterstützt die ukrainischen Kolleg:innen und sieht sie als festen Teil der europäischen Eisenbahnfamilie. Doch viel ist schon erreicht worden, wie Yuliya Shilina betont. Sie ist selbst geflüchtet. Mittlerweile koordiniert sie als ehemalige Pressesprecherin der ukrainischen Eisenbahn für die DB die Ukrainehilfe und stimmt sich mit anderen europäischen Eisenbahnen im Ukraine-Taskforce-Programm ab: „Die DB ist ein Leader bei der Unterstützung.“ Damit das auch so bleibt, engagieren sich konzernweit viele DB-Kolleg:innen in den unterschiedlichsten Bereichen. Während des sehr berührenden Austauschs entstanden eine To do-Liste genauso wie der Wunsch nach einem Wiedersehen.  

240 Menschen aus der Ukraine wurden seit Kriegsbeginn für die DB eingestellt. Und Richard Lutz macht sich dafür stark, dass es noch mehr werden: „Wir suchen Menschen, die mit Begeisterung, Herzblut und Leidenschaft im Unternehmen arbeiten“, wirbt Lutz und verspricht: Das Team DB hilft dabei mit, so gut es geht Sprachgrenzen zu überbrücken.“ Doch für Lena hat die Deutsche Bahn mit dem helpukraine-Ticket schon einen großen Beitrag geleistet. „Das Wichtigste war, dass wir die Züge nehmen konnten.“