Artikel: Runterfahren, aktiv zuhören und nachfragen
Übergriffe auf Mitarbeitende der DB kommen leider immer wieder in Zügen und Bahnhöfen vor - auch wenn ihre Zahl leicht rückläufig ist. Damit es möglichst gar nicht so weit kommt, absolvieren alle 20.000 Mitarbeitende mit Kundenkontakt verbindliche Deeskalationstrainings. Darin lernen sie, in kritischen Situationen richtig zu reagieren und sich selbst nicht zu gefährden. Mario Guthknecht ist einer der Trainer bei DB Sicherheit. Im Interview erklärt er, worauf es in brenzligen Situationen ankommt.
Was sind die häufigsten Gründe, warum Reisende aus der Haut fahren?
Typische Gründe sind Verspätungen oder Zugausfälle. Aus Sicht des Reisenden besteht plötzlich eine Zielblockade. Er kann aber seine Wut nicht gegen den Baum richten, der nach einem Sturm quer über den Gleisen liegt, sondern richtet sie dann gegen den DB-Mitarbeiter. Das nennt man Aggressionsverschiebung. Zum Glück sind die meisten Übergriffe größtenteils nur verbal. In gewalttätigen Situationen ist es oberste Prämisse, dass die Kollegen den Rückzug antreten, damit sie gesund nach Hause kommen.
Nicht alle Reisenden sprechen Deutsch, erschwert das nicht die Kommunikation?
Interkulturelle Kompetenz ist in den vergangenen Jahren ein wichtiges Thema für uns geworden. Jeder DB-Mitarbeiter ist mit einem mobilen Endgerät ausgestattet und Google Translator ist ein sehr gutes Hilfsmittel, um mit Sprachdifferenzen umzugehen. Der Reisende spricht rein, ich lese die Übersetzung, und kann das, was ich ihm sagen will, ebenfalls übersetzen lassen. Solche Hilfsmittel nutzen inzwischen sehr viele Kolleginnen und Kollegen regelmäßig in ihrem Alltag.Was lernen die DB Mitarbeitenden im Deeskalationstraining?
Es geht vor allem um Kommunikation. Dazu gehören natürlich die Worte, aber auch Mimik und Gestik oder die Art, wie ich spreche. All diese Komponenten machen Kommunikation in ihrer Gesamtheit aus. Auch Tageszeit oder Ort spielen eine Rolle. All dies sollten die Mitarbeitenden verstanden haben, um in schwierigen Situationen auf das Gegenüber einzugehen. Die Umsetzung der Theorie üben wir dann in unserer Fortbildungsstätte. Dort haben wir unter anderem ein Bahnabteil und einen Bahnsteig nachgebaut, um den Arbeitsalltag so realistisch wie möglich abzubilden.
Wie sieht das konkret aus?
Als Fortbilder arbeiten wir in der Regel zu zweit und trainieren mit den Kursteilnehmenden verschiedene Situationen. Für etwa 200 haben wir ein Drehbuch entworfen: Wie gehe ich zum Beispiel mit einer hilflosen Person, mit einem Raucher im Abteil oder mit einem gewalttätigen Übergriff um? Ein Fortbilder spielt den Reisenden. Ein oder zwei Bahn-Mitarbeitende werden mit der Situation konfrontiert. Der andere Fortbilder und die übrigen Kurs-Teilnehmenden beobachten. Meisten filmen wir diese Trainings und werten sie am Ende gemeinsam aus. Vor allem achten wir auf die Körpersprache. Die Teilnehmerinnen und Teilnehmer bekommen von mir auch Hausaufgaben: Üben Sie vor dem Spiegel!
Warum sind das richtige Auftreten und die Körpersprache so wichtig?
Für die Deeskalation ist es entscheidend, auf welche Weise Bahn-Mitarbeitende auf Reisende zugehen. Es macht durchaus Eindruck auf manche Menschen, wenn eine Sicherheitskraft in Uniform oder Schutzweste sie belehrt. Aber wer findet solche Situationen schon angenehm? Wohl niemand! Genauso wenig mögen Menschen, wenn ein Zugbegleiter sie im Abteil laut anspricht und alle andere Reisende darauf aufmerksam werden. Das sind Situationen, in denen Menschen sich vorgeführt fühlen können. Nichts ist schlimmer, als wenn ich mich vor dem Reisenden aufbaue, die Hände vor der Brust verschränke und ungeduldig mit dem Fuß wippe. Von oben herab und mit der Ansage, ‚Sie machen das, sonst…‘, ist wenig zielführend. Ich muss mich auf die Ebene des Reisenden begeben. Dazu gehört zum Beispiel, mich so hinzustellen, dass mein Rücken das Gespräch von anderen Reisenden abschirmt.
Welche Tipps haben Sie noch, um eine Situation zu deeskalieren?
Bei brenzligen Situationen ist es wichtig, dass ich nicht überstürzt hineinrenne, sondern erst durchatme und mir dann einen Überblick verschaffe. Sich selbst beruhigen zu können, ist ungemein wichtig, zum Beispiel per Atemübungen. Außerdem empfehle ich immer Ich-Botschaften und eine ruhige Stimmlage – nicht unbedingt leise, sondern an das Umfeld angepasst. Auch wenn der Reisende laut wird, sollte ich ruhig bleiben. Es führt zu nichts, wenn wir uns gegenseitig anschreiben. Besser ist es, die Stimme etwas runterzufahren, aktive Pausen zu setzen, aktiv zuzuhören und nachzufragen. Auch das Siezen finde ich wichtig: Vom Sie zum du komme ich schnell – in die andere Richtung funktioniert das dann aber nicht mehr. Mein Ziel muss immer sein, dass ich das Gespräch führe – was gar nicht bedeuten soll, dass ein Thema gleich geklärt werden muss. Es kann auch mal sinnvoll sein, einem Gegenüber zu sagen, "warten Sie bitte kurz, ich komme gleich wieder zu Ihnen“, und ihm so die Möglichkeit zu geben, zur Selbsterkenntnis zu kommen. Wenn ich an einem Reisenden vorbeigehe, der keinen Mundschutz trägt, kann es schon ausreichen, ihm mit einem Augenzwinkern oder Lächeln eine Maske zu geben. Das wird in den allermeisten Fällen angenommen.
Apropos Maskenpflicht: Seit zwei Jahren beherrschen Pandemie und entsprechende Schutzmaßnahmen unseren Alltag. Wie macht sich das bei den Mitarbeitenden, die Sie schulen, bemerkbar?Grundsätzlich ist die Akzeptanz der Corona-Regeln wie Maske tragen und 3G-Regel bei unseren Reisenden sehr hoch. Aber Corona hat dazu geführt, dass die Zündschnur bei manchen leider sehr kurz geworden ist. Die Schutzmaßnahmen waren vielfach mit Eingriffen in Grundrechte verbunden. Hinzu kommen weitere Faktoren, vielleicht Ängste um den Arbeitsplatz genauso wie Ärger über die Politik. Zeitweise wurden die Corona-Regeln ja im Wochentakt geändert. Allein bei der richtigen Wahl der Schutzmaske haben viele Reisende Verstöße begangen – nur oftmals nicht aus Vorsatz, sondern aus Unwissenheit. Auch dafür will ich meine Kolleginnen und Kollegen sensibilisieren. Zu Beginn jedes Trainings sprechen wir über Übergriffe, die Kollegen im Dienst erlebt haben. Viele wollen wissen, was sie das nächste Mal besser machen können.