Artikel: Zur richtigen Zeit am richtigen Ort
Auf den Gedanken, dass ihr Russisch einmal so gefragt sein würde, wäre Sara Hauch nie gekommen. Die gebürtige Kasachin gehört zum Begleitteam der Sonderzüge von DB Regio Nordost, die im März von Berlin aus starten, um ukrainische Geflüchtete in Polen abzuholen.
Es ist die weiteste Strecke, die je ein Regionalzug der DB in Richtung Osten gefahren ist: vom Bahnhof Berlin-Lichtenberg einmal quer durch Polen bis Przemyśl Główny, 12 Kilometer vor der ukrainischen Grenze. Drei aneinandergekoppelte Triebwagen auf diese lange Fahrt zu schicken, war ein Sonderprojekt von DB Regio Nordost. „Meine Teamleiterin hat mich gefragt, ob ich bei dem Projekt mitmachen möchte, und ich habe sofort zugesagt“, erzählt Sara Hauch. Die 38-Jährige arbeitet als Kundenbetreuerin bei DB Regio Nordost. Und: Sie spricht fließend Russisch. „Ich wollte selbst etwas tun, helfen“, so Hauch.
Fahrt ins Ungewisse
Anfang März startete der erste Sonderzug von DB Regio Nordost von Berlin in Richtung Ukraine. „Es war eine Fahrt ins Ungewisse“, erinnert sich Hauch. Denn ob sie die rund 800 Kilometer auf dem polnischen Streckennetz meistern, also überhaupt ankommen, und was sie in Przemyśl erwarten würde, wusste zunächst niemand.
Rund 30 Stunden war das rund zehnköpfige Begleitteam bestehend aus Kundenbetreuer:innen der DB, Sanitäter:innen, Übersetzer:innen und Sicherheitskräften unterwegs und hat pro Tour etwa 300 Ukrainer:innen nach Deutschland gebracht, hauptsächlich Frauen und Kinder. Das Ziel der Sonderzüge: Cottbus, wo neben Berlin und Hannover inzwischen ein drittes Verteilzentrum für die Kriegsflüchtlinge aus der Ukraine eingerichtet worden ist. „Ich fühle mich zur richtigen Zeit am richtigen Ort“, sagt Sara Hauch. Anfangs dachte die dreifache Mutter allerdings, sie wäre vielleicht zu emotional für diese Aufgabe. „Man realisiert aber zuerst gar nicht, was da wirklich los ist. Weil man beschäftigt ist, erst einmal nur funktioniert, sobald sich die Türen schließen und der Zug sich in Bewegung setzt.“
Ansprechbar sein und mit den Emotionen umgehen
Die Kundenbetreuerin macht Durchsagen, gibt Kissen und Decken aus, verteilt Verpflegung und Spenden – und ist einfach ansprechbar für die Geflüchteten. Alles auf Russisch. Sara Hauch kam Anfang der 1990er Jahre mit ihren Eltern und Geschwistern als sogenannte Spätaussiedlerin nach Deutschland. Geboren wurde sie 1983 in Kasachstan und wie damals überall in der Sowjetunion war Russisch dort zweite Muttersprache. Genauso wie für viele der Ukrainer:innen, die jetzt ihr Heimatland verlassen.
Die Emotionen seien dann unterwegs doch gekommen. Spätestens als ihr bewusst wurde, dass das, was sie in diesen Märztagen miterlebt, real ist. Zum Beispiel die Mutter und ihre zwölfjährige Tochter, die nichts weiter bei sich hatten als eine Handtasche und einen kleinen Kinderrucksack. „Das ging mir sehr nah“, sagt Sara Hauch. „Aber ich musste natürlich Stärke zeigen. Denn wenn ich anfange mitzuweinen, hilft das keinem.“
„Ihre Strecke“
Normalerweise ist Sara Hauch in den Regionalzügen der DB in Berlin, Brandenburg und Mecklenburg-Vorpommern unterwegs. Dürfte sie sich etwas wünschen, würde Sara Hauch gerne weiterhin die ukrainischen Geflüchteten auf ihrer Reise von Polen nach Deutschland begleiten. Inzwischen setzt DB Regio Nordost, zusätzlich zu den alle zwei Tage stattfindenden Fahrten bis an die ukrainische Grenze, täglich zwei Shuttle-Züge zwischen Cottbus und Breslau (Wrocław) ein. Bis dorthin werden die Ukrainer:innen jetzt von den polnischen Kollegen gebracht.